Verbote! Verbote! Verbote!
Von Ulf Annel
Kabarett braucht Texte. Selbst genialste Kabarettisten und -innen schaffen es nicht, ein ganzes Programm live aus der linken Hirnhälfte zu schütteln. Auch wenn sie die rechte zu Hilfe nehmen – es wird nicht abendfüllend. Also müssen – bevor die Proben beginnen können, bevor ein paar Wochen geprobt wird und dann eine Premiere stattfindet – Autorinnen und/oder Autoren ihre Arbeit machen.
Allgemein herrscht ja die Meinung, Ideen für Satire lägen auf der Straße. Dieser Irrtum scheint unausrottbar. Abgesehen davon, dass in diesem Jahr die Straßen oft von Quarkdenkern besetzt waren – es lag wieder kein Text dort. Nicht einer!
Hinzu kommt ein (lösbares) Problem: Wer eine feste Spielstätte hat wie das Erfurter Kabarett „Die Arche“, hat auch festgelegte Termine. In diesem Jahr war der Spielplan zwar Spielball der Corona-Krise, aber als die Kleinkunstbühne offen war, stand da im Spielplan ein Premierentermin. Und ein Programmtitel: „Die 10 Verbote“.
Titel müssen im Kabarett festgelegt werden, da ist das Textbuch noch nicht fertig. Der Titel „Die 10 Verbote“ stand schon fest, da war das Leben noch nicht coronabedingt eingeschränkt. Über Verbote dachte kaum jemand nach – außer Erfurter Kabarettisten. Die Diskussion über Sinn und Unsinn von Verboten trugen wir auf die Bühne und verbanden das natürlich mit den aktuellen Erscheinungen. Premiere war Anfang Oktober. Vier Wochen konnten wir das Programm aufführen, dann mussten alle großen Theater und kleinen Bühnen wieder schließen. Die zweite Welle schwappte über uns. Für einige Kolleginnen und Kollegen war es ein sozialer Tsunami.
Wer das Satire-Stück „Die 10 Verbote“ sah, war begeistert. Leider durften immer weniger Zuschauer auf den sonst oft ausverkauften 120 Plätzen sitzen. Kurzer Blick in die Zukunft: Wenn es nach dem Lockdown weitergeht, werden wir das Programm auch weiter spielen. Über Sinn oder Unsinn von Verboten muss immer nachgedacht werden.
Die 10 Verbote – ein Kabarett-Entree
(„Cashmere“ von Led Zeppelin, Band spielt bis Abbruch, Applaus Publikum)
A (kurz angebunden) Tach! (einem/r der/die antwortet) Sie sind mal gaanz still, ja! (nächste) Nicht popeln! (zu Mann) Gar nicht erst versuchen, dorthin (Yulia) zu gucken; hier (Bühne) spielt die Musik. Füße aus dem Weg! Weniger atmen, Luft wird teurer! Nicht schwatzen! Nicht dazwischenreden, wenn ich rede! Nicht zu laut lachen! Und wenn, lachen wir hier IN DIE ARMBEUGE! (Auftritt U von Seite unten) Keine Körpergeräusche, egal aus welcher Öffnung! Und: (schärfer) Handys aus!
U Was machst du denn da?
A Ich denke mir 10 Verbote aus. (zackig) Für heute. Hier!
U Es gibt wohl noch nicht genug Verbote, oder wie? Guten Abend übrigens.
A Ruhe! Da wissen alle von vornherein, wo’s hier langgeht. Welcher Wind hier woher pfeift. Damit Ordnung herrscht. Und nicht Chaos.
U Im Kabarett?
A Im Kabarett „Die Arche“!!!
U Darf ich mal?
A Ja, bitte, mein lieber Ulf. Ist ja auch dein Arbeitsplatz.
U Mein Kampfplatz für den Frieden. Kleiner, alter Scherz. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob Sie’s schon wussten, aber wir machen uns ja sehr viele Gedanken …
A Also ich nicht. Ich mach mir nur so viel wie nötig.
U … viele Gedanken, bevor so ein Kabarett-Programm Realität wird. Wir reden viel …
A Besonders er.
U … tauschen uns aus über Gott und die Welt, und irgendwann kristallisiert sich dann ein Thema heraus, das wir im Programm satirisch bearbeiten wollen.
A (äffend) Es kristallisiert sich heraus. Ja, der Herr Annel ist der Chris Tall der Erfurter Kleinkunstszene.
U Andreas schlug für diese Programm vor: Verbote. Er fühle sich eingeengt.
A Von klein auf: Das darfst du nicht! Lass das! Nein, nicht der Gisela an den Haaren ziehen! Dabei hat die Gisela immer so herrlich gejault.
U Und dauernd neue Verbote, ge!?
A Genau! Es ist doch immer weniger erlaubt. Das geht in der Familie los, dazu städtische Verordnungen, regionale Einschränkungen, bundesrepublikanische Gesetze, Grenzziehungen, internationale Gesetze. Und ganz scheiße: Moralische Normen!
U Und nicht zu vergessen: die Stopp-Schilder, die man sich persönlich aufstellt. Die Schere im Kopf.
A Mach einen Schritt, und dir wird der nächste verboten.
U Weil da jemand ist, dem du auf die Füße treten könntest. Was hab ich damals gesagt?
A Der Herr Annel ist ja der, der immer Gegenargumente sucht und immer alles verstehen will. Der sucht sogar Argumente, um das zu verstehen, was nun wirklich nicht zu verstehen ist.
U Ja. Das ist menschlich – human.
A Wir sollen hier Kabarett machen, kritisieren, Spott, Ironie!
U Und tiefere Bedeutung! Immer nur an der Oberfläche kratzen, so Politiker-Bashing, Merkel bummdrauf, Stammtischkabarett – das steht mir hier. Man muss doch wenigstens fragen: Warum? Und: Wem nützt es? Die Welt verstehen, nicht nur drauf spucken.
A Schön! Und da hat er dann behauptet: Verbote sind was Gutes. Europa sei nur durch Verbote zivilisiert worden, auch wenn unsere Vorfahren die Verbote zunächst als Gebote getarnt hätten.
U Gucken Sie in die Bibel. Womit fangen die 10 Gebote an? Mit „Du darfst“? Nee, mit „Du sollst nicht“!!
A Eben! Von früh bis spät, von der Geburt bis zum Tode: Verbote, Verbote. Verbote!
U Und dann … dann kam Corona. Seitdem haben wir unsere Positionen getauscht.
A Ich bin jetzt überzeugt: Aus Sicherheitsgründen müsste noch viel mehr verboten werden. Es geht schließlich um Leben und Tod!
N (auf) Richtig!
U Und ich will nicht noch mehr verboten kriegen, denn es geht um Freiheit und Gerechtigkeit! Wochenlang diesen Schnutenpulli vor der Gusche!
N Auch richtig!
U Der Neue!
A Schön, dass du auch mal langsam erschienen bist.
U/A (singen) Heil sei dem Tag, an welchem du bei uns erschienen. Dideldumm …
U Meine Damen und Herren, Andreas und ich haben Nachwuchs bekommen.
A Wir haben ihn adoptiert.
N Guten Abend.
A Nicolas Jantosch, genannt Nico. Seit seinem 3. Lebensjahr steht Nico auf der Bühne.
U Ja, am Theater ist Kinderarbeit süß.
N Und nicht verboten, um mal wieder zum Thema des Abends zurückzukommen.
A Richtig. Die 10 Verbote. Was für ein Programm-Titel.
N Der ist ja auch von dir.
A Jaa!
U Schleimer.
A Wir stehen damit auf dem Fundament der christlich-jüdischen Traditionen des Abendlandes.
U Ich nicht. Ich bin Atheist. Ich denke lieber selber.
N Ich bin auch dagegen.
A Du bist neu hier, überleg dir, ob du wegen Widerborstigkeit gleich wieder entlassen werden willst.
N Nein, ich meine nur, dass wir den hohen Anforderungen nicht entsprechen können.
A Keine Beleidigungen! (U zeigt beide Daumen)
N Nein, ich meine nur, dass wir es nicht schaffen werden, alles Jüdische satirisch zu behandeln.
U (dazwischen) Ist auch nicht ungefährlich.
N Im Talmud gibt es 613 Mitzwot.
A Was für Witzwort?
N Mitzwot. Die teilen sich auf in 365 Verbote und 248 Gebote.
U So viel Zeit haben wir wirklich nicht. Aber: Können wir vielleicht noch eine Brücke in andere Kulturkreise schlagen, damit wir nicht so provinz…
A Regional!
U … nicht so ganz regional dastehen?
N Buddhisten leben nach verschiedenen Regel-Werken. Dazu gehören der „Edle Achtfache Pfad der Erkenntnis“ und die fünf sittlichen Gebote.
A Nur fünf? Na, dann ist doch alles in Buddha.
N Für buddhistische Nonnen und Mönche gelten die Zehn-Sitten-Regeln und die Patimokha.
A Schön, deine Mokka-Party ist so übersichtlich wie Walter Ulbrichts 10 Gebote der „soschelistischen Moral“.
N Die Patimokha besteht allerdings aus 227 einzelnen Ge- und Verboten.
U Ooch, dass die Religiösen es immer so übertreiben müssen.
A Mit anderen Worten: Es reicht sicher, wenn wir uns mit unseren deutschen Verboten beschäftigen.
U Also los: Meine Damen und Herren (Tusch) – Die 10 Verbote!
N Wartet mal, ich hab noch ein Problem.
U Oh, nee!
A Probleme haben wir alle. Komm!
N Nein, ich weiß nicht, ob ihr mir erlaubt, bei euch mitzuspielen.
A Was hat denn unser Kleiner?
N (guckt kurz über A, dann) Ich weiß nicht, was dein Kleiner hat, aber ich habe Geld von der Regierung genommen.
U Du hast Ramelow beklaut?
N Nein, er hat es mir gegeben. Corona-Soforthilfe, 5000 Euro …
A/U Boah!!
N … für 5 Monate totalen Verdienstausfall. Und auch nur für Betriebskosten.
U Trotzdem: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.
A (zu N) Hast du, als du in der coronabedingten Armutsfalle saßest und das Geld eingestrichen hast, über Politik nachgedacht?
N Da musste ich an ganz anderes denken, ich habe Familie.
A Nix Politik? (N verneint) Dann darfst du das Geld behalten.
U Und hier mitspielen. Es gibt nur noch ein Problem. Jetzt musst du mitdenken.
N Oh, nee!
A So schlimm wird’s nicht werden. Der Ulf ist ja dabei.
Das Programm „Die 10 Verbote“ hatte am 1.10.2020 im Erfurter Kabarett „Die Arche“ Premiere. Regie führte Fernando Blumenthal. Es spielen Andreas Pflug (A), Nicolas Jantosch (N) und Ulf Annel (U).
Ulf Annel ist ein Allroundtalent. Der 1955 in Erfurt Geborene hat Journalismus studiert und ist seit 1981 Kabarettist und Autor des Erfurter Profi-Kabaretts „Die Arche“. Er veröffentlichte Humor- und Satirebücher sowie Reise(ver)führer in verschiedenen Verlagen.
Zum Eintrag in der Autoren-Datenbank hier.