Samuel Glesel wurde am 10. Juli 1910 in Chrzanów in Polen geboren. Seine Eltern, Liba und Mordechay Glesel, flohen vor der Armut nach Deutschland, wo sie von 1913 bis 1924 in Gotha und in Berlin lebten. In Gotha wohnten sie zunächst in der Mohrenstraße 2, 1914 in der Schwabhäuser Straße 7, 1915 in der Augustinerstraße 1, 1916 in der Augustinerstraße 10, 1917 in der Margarethenstraße 14, 1921 am Berg 7, ab 1922 dann in der Hützelsgasse 33. Der Vater arbeitete als Handelsmann, die Mutter war von 1916 bis 1922 Inhaberin einer Weiß- und Wollwarenhandlung.
Zu den wenigen Dokumenten, die es über das Leben der Familie Glesel in Gotha gibt, gehören zwei Bände mit Erzählungen von Samuel Glesel, die 1935 in der Sowjetunion in deutscher Sprache erschienen. Seine Erfahrungen der Hungerjahre legten eine Lebensspur. Sie formten sein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden und ließen ihn vorzeiten erwachsen werden. Als die Familie nach Berlin zog, hatte ihr Sohn Samuel seine Kindheit bereits abgestreift und war auf der Suche danach, dem Unwürdigen seines bisherigen Lebens etwas entgegenzusetzen. Er wurde Mitglied im Kommunistischen Jugendverband Deutschlands. Bereits 1927, mit 17 Jahren, hatte den politisch engagierten jungen Mann die 1925/1926 von der KPD im Zentrum Berlins gegründete Marxistische Arbeiterschule „MASCH“ als Gastdozent eingeladen. Zu den Dozenten der „Hochschule der Werktätigen“ gehörten Bruno Taut, Walter Gropius, Erwin Piscator, Helene Weigel, John Heartfield. Hier begegnete er den Schriftstellern Egon Erwin Kisch, Erich Weinert, Ludwig Renn, Anna Seghers, Friedrich Wolf. Vielleicht lernte er hier die gleichaltrige Schriftstellerin Elfriede Brüning kennen, vielleicht erst 1931beim Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller oder in einem der Redaktionsräume der Münzenberg-Presse, für die die beiden angehenden Schriftstellerkollegen Texte lieferten.
1930 versuchte er ein halbes Jahr lang, jedoch ohne Erfolg, in Frankreich Arbeit zu finden. Er kehrte nach Deutschland zurück und begann unter dem Pseudonym „Gles“ für die „Rote Fahne“, die „Welt am Abend“ und die „Arbeiterstimme“ zu schreiben. Seine politische und journalistische Tätigkeit in Berlin führten ihn rasch in die Reihen der KPD. Parallel dazu wurde er Mitglied im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller, 1931 zum Leiter der Ortsgruppe Berlin. In der Ortsgruppe der KPD lernte Glesel die neun Jahre ältere arbeitslose Lehrerin Elisabeth Wellnitz kennen. Als sie von Samuel Glesel schwanger wurde, schwanden ihre Hoffnungen auf eine Anstellung als Lehrerin zusehends. Daher überlegte sie nicht lang, als sie das Angebot erhielt in der Sowjetunion als Deutschlehrerin zu arbeiten. Samuel Glesel folgte ihr 1932 nach Engels. Die Aussichten für den kommunistisch-jüdischen Schriftsteller Samuel Glesel im Deutschland des Jahres 1932 lassen sich leicht ausmalen. Dass die Entscheidung, Deutschland zu verlassen, beiden leicht fiel, liegt auf der Hand. Beide erhofften sich von dem Leben in der Sowjetunion eine bessere Zukunft; die Erfüllung ihrer Vorstellung von gesellschaftlichem Fortschritt. Elisabeth Wellnitz trat eine Stelle als Deutschlehrerin am Deutschen Pädagogischen Institut in Engels an.
In der wolgadeutschen Stadt Engels wurden sie jedoch mit einem Schlag mit den realen sowjetischen Verhältnissen jener Jahre konfrontiert. Sie mussten mit mehreren fremden Personen ein Zimmer teilen, sie wurden mit der katastrophalen Versorgungslage konfrontiert. Ihre 1932 in der UdSSR geborene Tochter Else starb bald an Unterernährung. Freunde signalisierten bessere Lebensbedingungen aus Leningrad, woraufhin, sie ohne Umschweife nach Leningrad reisten. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland im Januar 1933 verhinderten, dass sie aufgrund ihres Kontraktbruchs in Engels zur Rechenschaft gezogen wurden. Als Emigranten genossen sie den Schutz der sowjetischen Regierung.
1933 erschien in der in Charkow erscheinenden deutschsprachigen Zeitschrift „Der Sturmschritt“ sein Drama „Verboten. Ein Maischauspiel in drei Akten“ über den blutigen 1. Mai 1929 in Berlin, ohne das jemand daran Anstoß nahm. Erwähnenswert ist ein Sammelband, der 1933 in der Verlagsgenossenschaft Ausländischer Arbeiter in der UdSSR – Moskau-Leningrad unter dem Titel „Mord im Lager Hohnstein. Berichte aus dem Dritten Reich“ erschien, zu dem Johannes R. Becher das Vorwort schrieb. Samuel Glesel ist darin mit der Erzählung „Gehetzt!“ vertreten. Bemerkenswert am Vorwort von Johannes R. Becher ist seine Einordnung der proletarischen Literatur, in der er den Autoren des Bandes eine herausragende Stellung innerhalb der proletarischen Literatur attestierte. Johannes R. Becher, der Glesel aus Deutschland kannte, schrieb am 29. Mai 1933 aus Moskau eine Stellungnahme zu Samuel Glesel, der er es verdankte, dass er für die „Deutsche Zentral-Zeitung“ und die „Rote Zeitung“ in Leningrad arbeiten durfte. Anfang Juli 1935 erschien im Deutschen Staatsverlag Engels Glesels Erzählungs- und Reportagenband „Deutschland erwacht“ in einer Auflage von 5.000 Exemplaren. Im gleichen Jahr veröffentlichte der Verlag der nationalen Minderheiten der UdSSR – Kiew-Charkow Glesels Erzählungsband „Deutschland gestern und heute“ und sein bereits publiziertes Drama „Verboten“. Es lässt sich nur vermuten, dass das Erscheinen von drei Büchern eines bislang weitgehend unbekannten Schriftstellers das Interesse auf Samuel Glesel lenkte.
Am 26. November 1935 erschien eine negative Besprechung von Otto Bork zu Glesels Buch „Deutschland erwacht“. Diesem Vorspiel einer regelrechten Hetzkampagne gegen Samuel Glesel folgte eine vernichtende Kritik von Erich Weinert über Glesels Drama „Verboten“, die am 24. Mai 1936 in der „Deutschen Zentral-Zeitung“ unter dem Titel „Ein Schandfleck der deutschen Literatur“ erschien. Darin bescheinigt er Glesel, dass er mit seinem nichtssagenden Drama der „revolutionären Sache“ erheblichen Schaden zufügt. Weinert kritisierte, dass die Berliner Arbeiter wie Berliner Arbeiter sprechen und nicht wie Parteiagitatoren „auf Linie“ argumentierten, wobei er offensichtlich nicht merkte, wie sehr er mit diesen Aussagen zur Selbstkarikatur seiner selbst wurde. Nach den beiden Verrissen entfachte sich eine regelrechte Hetzkampagne gegen den „Parteischädling“ Glesel. Im Klima der Bespitzelung und des allgemeinen Misstrauens, der Angst davor, dass man selbst als nicht wachsam genug denunziert werden könne, verschärft die Problematik. 1935 hatte in der Sowjetunion die „große Tschistka“, die große Säuberung begonnen, in deren Zeichen die Kampagne gegen Glesel stand. Allerorten galt es „Doppelzüngler“, „Volksfeinde“, „Faschisten“ und „Spione“ zu entlarven. Auf einer geschlossenen Parteiversammlung in Moskau nahm sich die deutsche Kommission des sowjetischen Schriftstellerverbandes des „Falles Glesel“ an, wobei – dem Klima der Angst und des Misstrauens geschuldet – sich die einzelnen Diskutanten im Vorbringen von Vorwürfen zu überbieten versuchten.
Am 3. November 1936, ein Jahr nach Erscheinen von Otto Borks Kritik, wurde in der Deutschen Zentral-Zeitung unter dem Titel „Der Fall Gles – Ausschluss aus dem Verband der Sowjet-Schriftsteller“ Glesels Verbandsausschluss bekanntgegeben.
Elfriede Brüning ist es zu danken, mit ihrem Buch auf die Kampagne gegen Glesel aufmerksam gemacht zu haben. Sie erkannte auch, dass Glesels Erzählungen und Reportagen nicht in jedem Fall literarische Glanzstücke waren. Die Hilfe eines erfahrenen Lektors hätte genügt, Fehler und sprachliche Ungenauigkeiten auszuräumen. Jedoch ergriff kein Schriftsteller das Wort und setzte sich für Glesel ein. Mit dem Ausschluss wurde Samuel Glesel zur Persona non grata in der Sowjetunion. Seine Bemühungen, sich gegen den Ausschluss aus dem Schriftstellerverband zur Wehr zu setzen und eine Wiederaufnahme zu erreichen, bleiben vergeblich. Am Sonnabend, dem 4. September 1937, wurde Glesel vom NKWD verhaftet. Da ein schlechtes Theaterstück kaum als Grund für eine Verhaftung dienen konnte, warf man ihm vor, Mitglied einer terroristischen Spionage- und Diversionsorganisation deutscher Emigranten zu sein. In den Verhören entfachten die Politkommissare routiniert den breiten Fächer der Anschuldigungen, der von konterrevolutionärer Tätigkeit bis zum faschistischem Terror im Auftrag der Gestapo reichte. Acht Wochen später, am 29. Oktober 1937 wurde Samuel Glesel nach § 58/10 und 11 des Strafgesetzbuchs der RSFSR wegen „Propaganda oder Agitation, die zu Sturz, Unterhöhlung oder Schwächung der Sowjetherrschaft oder zur Begehung einzelner gegenrevolutionärer Verbrechen“ zur Höchststrafe verurteilt. Am 5. November wurde er in Leningrad erschossen. Er und weitere 99 Hingerichtete wurden auf einem Ödland bei Lewaschowo verscharrt. Seine Frau, die wie ihr Mann verhaftet, aber bereits am 23. November 1937 wieder freigelassen wurde, ließ der NKWD in perfider Manier über den Tod und den Todeszeitpunkt ihres Mannes über Jahre im Unklaren. Erst im Jahr 1958 wurde Samuel Glesel postum rehabilitiert. 1997 wurde an der Stelle, wo Samuel Glesel und die mit ihm im Zuge der „Deutschen Operation“ Personen verscharrt wurden, ein Gedenkfriedhof für die Opfer politischer Repression errichtet. Eine Gedenktafel erinnert auch an Samuel Glesel. Im Jahr 2015 errichtete die Stadt Gotha auf Initiative ihres Oberbürgermeisters Knut Kreuch eine Gedenktafel für Samuel Glesel auf ihrem jüdischen Friedhof.
Vortrag anlässlich der Einweihung einer Gedenktafel für den Schriftsteller Samuel Glesel auf dem Jüdischen Friedhof in Gotha am 10. Juli 2015.