Buch trifft Wirklichkeit

Roman von Johanna Maria Jakob hilft bei Spurensuche in Friedrichslohra

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Johanna-Maria Jakob und Marliese Giehr vor dem Zigeuner-Sittigungshaus in Friedrichslohra, das heute einen Kindergarten beherbergt. Foto: Privat

Zu den eher seltenen Erlebnissen eines Schriftstellerlebens gehört es, dass die Geschichten, die der Autor beziehungsweise die Autorin zwischen zwei Buchdeckel gebannt hat, unerwartet lebendig werden. So ging es auch Johanna Maria Jakob. Sie hatte 2014 den historischen Roman „Taterndorf“ veröffentlicht, in dem es um die Zwangsansiedlung eines Sinti-Stammes im thüringischen Friedrichslohra ging. Marliese Gier, eine Nachfahrin der Sinti-Familien, um deren Schicksal es in „Taterndorf“ geht, meldete sich bei der Autorin und suchte den Kontakt. Im Frühjahr schließlich reiste die Frau, die heute in Düren lebt, nach Thüringen. Gemeinsam mit Johanna Maria Jakob besuchte sie das Dorf, in dem etliche ihrer Vorfahren im 19. Jahrhundert zwangsangesiedelt werden sollten. Sie besichtigten dabei auch das sogenannte Zigeuner-Sittigungshaus, das heute als Kindergarten dient.

„In dem Moment nahm ich die Gespräche um mich herum nicht mehr so richtig wahr. Ich berührte die freigelegten Holzbalken des Fachwerks von eins, als ob sie zu mir sprechen könnten“, sagte Marliese Gier. „Völlig überraschend für mich zeigte man mir hier eine ganz besondere Stelle im Haus. Beim Bau 1832 wurden zum Andenken an die Bestimmung dieses Hauses die Fußabdrücke eines zwei bis drei Jahre alten Sinti-Kindes im Beton hinterlassen. Das ist Spurensuche im wahrsten Sinne des Wortes!“

Ergriffen blätterte Marliese Gier schließlich in den Recherchematerialien für den Roman, wo sich in Kopien alter Kirchenbücher die vertrauten Namen ihrer Familie wiederfanden. Für Johanna Marie Jakob war es bestürzend, vom späteren Schicksal der Kinder und Kindeskinder ihrer Protagonisten zu hören. Die meisten von ihnen starben in Konzentrationslagern, der Großonkel von Marliese Gier nachweislich unter den Händen von Josef Mengele.

Für die beiden Frauen wurde es eine wertvolle Begegnung voller Emotionen, die sie nicht wieder vergessen werden, zumal beide sicher sind, auch weiterhin in Kontakt zu bleiben. (mj/kj)