Manuskriptwanderung 2018
Georgenthal -
Mit Riesenschritten naht der Herbst, die schönste Zeit zum Wandern. Wir Autoren des Thüringer Schriftstellerverbands konnten es nicht erwarten und haben schon mal vorgelegt. Indem wir eines der spätsommerlichen Wochenenden für unsere Manuskriptwanderung nutzten. Zur Erinnerung: Wir wandern jedes Jahr an einem anderen Ort. So lernen wir Schritt für Schritt unsere Heimat kennen und finden am Abend noch Zeit für die Manuskripte, die wir einander vorlesen und, wo nötig, auch um die Ohren hauen. Diesmal ging es von Georgenthal nach Tambach-Dietharz und wieder zurück. Das sind zwar nur zehn Kilometer. Doch wenn man die Strecke mit unserem Durchschnittsalter – ca. 67,247 Jahre – verrechnet, werden daraus gefühlte 30 bis 40. Mit anderen Worten: Wir fühlten uns am Sauriererlebnispfad wohl.
Ich trottete am Ende und wunderte mich über die großen, schweren Rucksäcke meiner Vorgänger. Was war drin? Proviant in flüssiger und fester Form. Vor allem die Frauen schleppten schwer an großen Wasserflaschen, mittelgroßen Knackwürsten und Schweizer Taschenmessern. Ich frage mich, woher die Furcht rührt, im Thüringer Wald zu verhungern. Es ist vielleicht die archaische Urangst, so zu enden, wie die Saurier: auf dem Bromacker. Und nichts zu hinterlassen als einen Haufen Knochen. So trägt eben ein jeder sein Schneckenhaus auf dem Rücken. Kollege Klaus J., ein passionierter Krimischreiber aus Apolda, kam gleich im Schneckenmobil. Er parkte es hinterm Hotel und verbrachte auch die Nacht darin. Am anderen Morgen durften wir seine rollende Schreibstube besichtigen. Zuvor mussten wir unsere Wanderschuhe ausziehen. Nacheinander tappten wir über frisch gesaugte Teppiche, bestaunten blitzende Armaturen – die Temperatur, Wasser-, Öl-, Batterie- und Manuskriptstand anzeigen – und stellten uns vor, wie unsere eigene Textproduktion in dieser Umgebung sprudeln würde. Da ist alles drin, was man zum Schreiben braucht: ein Tisch, ein Drehsessel und die Spirituosenbar. Wenn er hungrig ist, öffnet Klaus J. die Kühlschranktür. Wird er müde, rollt er sich im Hinterteil seines Schneckenmobils auf der Matratze zusammen. Und lässt die Inspiration nach, klemmt er sich hinters Steuer und rollt ein paar Kilometer weiter. An welchen Orten mögen wohl seine Regionalkrimis entstanden sein – „Die Bratwurst“, die „Thüringer Quelle“ und die „Rennsteig-Schwalben“? Hat der mobile Schreibtischtäter zuvor den jeweiligen Tatort inspiziert? Haben ihm Tramper den einen oder anderen Hinweis geliefert? Manchmal, verrät Klaus J., parke er sein Schneckenmobil am Hang, damit beim Duschen das Wasser besser ablaufe. In solcher Schräglage entstehen vermutlich auch seine besten Texte. /